„Wir wollen ein wenig zurückgeben“

Geflüchtete Familien hatten zu einem Ukraine-Danke-Abend 2.0 eingeladen

Herbolzheim-Tutschfelden (slw). Gastfreundschaft ist eines der ältesten menschlichen Kulturgüter überhaupt, das Verhältnisse zu Fremden regelt. In Herbolzheim sind die ersten ukrainischen Geflüchteten bereits nach einer Woche Krieg in deren Heimat eingetroffen. Beim Ukraine-Danke-Abend 2.0 revanchierten sich die derzeit dort lebenden Familien für die Hilfe, die ihnen tagtäglich wiederfährt.

Unter dem Stichwort „Willkommenskultur“ offenbart die Galurastadt höchste Humanität gegenüber den von Kriegswirren geflüchteten Menschen. Es war eine Kundgebung der besonderen Art. Für die bisher gezeigte Gastfreundschaft bedankten sich über 80 Prozent der dort untergebrachten Geflüchteten bei allen Herbolzheimern für die entgegengebrachte Unterstützung.
Seit dem 24. Februar letzten Jahres änderte sich das Leben jedes Ukrainers - unumkehrbar. Für viele wurde Deutschland erste Zufluchtsstätte. Herbolzheim zählte zu den ersten Städten, die Geflüchtete aufnahmen. Bei einem Dankesschön blieb es nicht. Die Osteuropäer bescherten ihren Gastgebern eine nachmittagsfüllende Programmfolge.
Im Bürgerhaus in Tutschfelden hatten die ukrainischen Landesfarben regelrechtes Heimspiel. Davor wehte die ukrainische Flagge in blau/gelb, inmitten die symbolische Friedenstaube, die nach Aussöhnung des leidgeprüften Landes sucht. „Wir sind stolz, so viele Freunde in Herbolzheim kennengelernt zu haben.“ Die Stimme von Iryna Dieterle klang bei der Begrüßung leicht belegt. Aus dem Saal und den hinteren gut besetzten Stehplatzreihen erntete sie dafür langanhaltenden Applaus.
Sie erinnerte sich noch genau an den ersten Kriegstag, als die ersten Bomben einschlugen. Ihre Tochter rief frühmorgens aus Kiew an. Zwei Tage später war sie bereits in Herbolzheim eingetroffen und lebt seither bei ihrer Mutter. Doch die rührselige Ukrainerin beließ es nicht bei dieser Einzeltat. Sie organisierte weitere Fluchtwege, um zumindest menschliche Schicksale ihrer Bevölkerung zu mindern. Schon eine Woche später traf der erste Hilfskonvoi ein. Iryna Dieterle lebt seit drei Jahren in Broggingen. Ihr Mann ist deutscher Staatsbürger.
Der 24. Februar 2022 war ein denkwürdiger trauriger Tag, der bis heute andauert. Bürger vieler Nationalitäten richteten spezielle Unterkünfte ein, halfen bei Formalitäten und unterstützten die Ukrainer, sich in der Ferne in einem gewissen Grad wohlzufühlen. Bereits im letzten Herbst hatte Bürgermeister Thomas Gedemer auf Initiative der Stadt geflüchtete Familien und Einzelpersonen eingeladen. Zugleich war es ein aufrichtiges Dankeschön an jene Vermieter, die spontan Räumlichkeiten der Unterbringung zur Verfügung stellten.

„Bei uns allseits willkommen“
Gedemer fand es amüsant, in heimischen Gefilden begrüßt zu werden, und gab das Kompliment postwendend zurück: „Sie sind bei uns allseits willkommen, wir wünschen dennoch allen eine baldige, friedvolle Rückkehr.“ Von mehr als einer Million Geflüchteten beherbergt der Landkreis derzeit 2.400 Menschen. In Herbolzheim wohnen aktuell 105 Personen. Mit 25 von ihnen wurden Mietverträge abgeschlossen. Die Herzlichkeit, Wohnraum bereitzustellen, wertete Gedemer als gewaltig und stelle keine Selbstverständlichkeit dar.
Seine Dankesworte galten auch den Mitarbeitern im Ordnungsamt Matthias Leser und Miriam Brennecke. Was beide auszeichnet, ist der ausweitende Blick für notleidende Menschen und nicht Dienst nach Vorschrift abzuspulen. Um kommenden Aufgaben auf diesem Sektor wahrzunehmen, bekam das städtische Integrationsmanagement mit Tanja Kromer Verstärkung. Die vielen ehrenamtlich, vor allem in der Kinderbetreuung, Tätigen schloss der Bürgermeister mit ein.

Dieterle beim Bundespräsidenten
Iryna Dieterles bisheriges Engagement blieb nicht im Verborgenen. Ihr wurde in Mannheim mit der Verleihung des Preises „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ ein besondere Ehre zuteil. Von der Bundeszentrale für Politische Bildung kam die Einladung nach Berlin. Dort wurde sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen.
Jetzt sei es an der Zeit, „mit euch zu feiern und für die gezeigte Humanität zu danken“, leitete Dieterle zum gemütlichen und abwechslungsreichen Programmteil über. Der begann mit einem Flötenspiel von Svetlana Mararenko. Im Waldkindergarten „Füchslebau“ werden ukrainische Zöglinge betreut, damit Eltern sich die deutsche Sprache aneignen können. Die Kleinen erfreuten die Großen mit mehreren Gedichtvorträgen.
Ludmilla und Mykola sangen das Lied „Ukraina“. Die Hymne verspricht, die Ukrainer tun alles, um ihr Land, ihre Heimat und ihre Kultur wieder aufzurichten. Ballett auf höchstem Niveau vollführte eine in Tutschfelden lebende Profitänzerin. „Le pow“, alias Ulrich Wittwer, wurde von der Stadt engagiert. Mit seiner Magie unterhielt er das Publikum als Täuschungs- und Ballonkünstler. Als besondere Geste von Dankesschuld bekam Thomas Gedemer ein von Svetlana Mararenko gemaltes Sonnenblumenbild überreicht. Auf der Rückseite Widmungen aller ukrainischen Familien, welche die Herbolzheimer Gastfreundschaft genießen dürfen.

Leckere Spezialitäten
„Wir wollen ein wenig das zurückgeben, was wir an Dankbarkeit erfahren durften.“ Mit diesen Worten wurde das leckere Büfett eröffnet. Ukrainische Spezialitäten fanden sofort Abnehmer. Ein glücklicher Lotteriegewinner durfte sich über einen selbstgebackenen Karavai-Kuchen freuen. Das aus Brot und Salz bestehende Gebäck soll Wohlstand und Glück symbolisieren.
In allen Religionen und Kulturen galt der Gast als heilig und ein Vergehen gegen die Gastfreundschaft zog sogar göttliche Rache nach sich. Schon Platon hatte in seinen Nomoi-Gesetzen Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus das Gastrecht als höchste ethische Pflicht verankert.

„Läuft alles gut und schnell“
„Es läuft hier in Herbolzheim alles gut und schnell“, wertete Iryna Dieterle das Hier und Jetzt abschließend. Sie hofft innigst, dass der Krieg bald vorbei ist. Dann wird ein riesiges Friedensfest mit allen Freunden gefeiert, so ihr Versprechen. Wann in der Ukraine wieder eine friedliche Demokratie ohne Kriegswirren herrscht, vermochte sie nicht zu beurteilen.