Elzach (mkt). „Stolpersteine“ erinnern an Menschen jüdischen Glaubens, die während der Nazi-Zeit drangsaliert, vertrieben, ermordet oder in den Selbstmord getrieben worden sind. Jetzt gibt es auch in Elzach vier Stolpersteine. Sie erinnern an Bruno, Paula, Elfriede und Günter Türkheimer. Vergangenen Montag wurden die Stolpersteine im Beisein des in den USA lebenden Enkels Fred Turkheimer und seiner Partnerin Linda verlegt.
Warum die Familie Türkheimer ein Opfer der Gewalttaten der Nazis geworden ist? Auf diese Frage gab der Historiker Heiko Haumann in seinem 2015 erschienen Buch, „Eine Judenaktion 1938 in Elzach“, Antwort: Es habe sonst niemanden gegeben, an dem die örtlichen Nazi-Größen in Elzach den künstlich initiierten „Volkszorn“, angeordnet durch die Parteioberen, habe auslassen können. Bruno Türkheimer sei ein beliebter und geachteter Tierarzt gewesen. Doch nach der Machtergreifung durch die Nazis hätten ihm und seiner Familie die örtlichen Nazi-Größen um Bürgermeister und Ortsgruppenführer Emil Riegger das Leben schwer gemacht. „Sie wollten partout ein Exempel statuieren, die Familie Türkheimer noch einmal demütigen und ihre Macht öffentlich inszenieren“, so Haumann; aber auch persönliche Motive hätten bei Emil Riegger eine Rolle gespielt.
„Innehalten und nachdenken“
„Diese Stolpersteine sollen uns zum Innehalten veranlassen, zum Nachdenken, wie wir uns verhalten hätten – und verhalten könnten, wenn wir in eine Situation gerieten, in der Unrecht geschieht und Leid zugefügt wird.“ Diese mahnenden Worte könnten aktueller nicht sein. Das wurde in der kleinen Feierstunde deutlich, zu der die Stadt Elzach ins Heimatmuseum eingeladen hatte.
Bürgermeister Roland Tibi erinnerte an die aktuellen Geschehnisse in Israel und Palästina. Fassungslos stehe man vor dem sich seither ausbreitenden Antisemitismus weltweit, in Europa und auch in Deutschland. Hautnah erlebe das auch ihre Gemeinde, bestätigte Maja Kobzarev, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Emmendingen, in einer sehr bewegten und bewegenden Ansprache.
Francis Dreyfuss aus Ville im Elsass steht wie kein zweiter für Versöhnung und Verständigung zwischen Religionen und ehemals verfeindeten Völkern. Er ist Mitinitiator und seit vielen Jahren Motor der Partnerschaft zwischen dem Weilertal und Elzach. Während der Nazi-Herrschaft hat auch er einen Großteil seiner Familie verloren. Schon im 12. Jahrhundert lebten Juden im Elsass, berichtete er. Im 19. Jahrhundert sei deren Zahl durch Zuwanderung enorm gestiegen. In den 1940er-Jahren sei fast die gesamte jüdische Bevölkerung deportiert worden – auch seine Familie. Auch an sie erinnere die Stolpersteine-Aktion von Günter Demnig. Im kommenden Jahr werden in Ville elf neue Stolpersteine verlegt, so Dreyfus.
Nach Verhaftung und KZ-Aufenthalt in Dachau, wo er schwer misshandelt worden war, kam Bruno Türkheimer am 20. November 1938 nach Elzach zurück. Einen Monat später emigrierte die Familie in die USA, wohin sie schon vor der „Judenaktion“ gehen wollte. Die entsprechenden Genehmigungen hätten vorgelegen. „Und das war Bürgermeister Riegger durchaus bekannt. Die Judenaktion wäre seitens der örtlichen NSDAP-Führung vermeidbar gewesen“, so der Historiker Heiko Haumann.
Die Familie Türkheimer hätte zwar ihr Leben retten können, nicht jedoch ihr Vermögen. „Paula und Bruno Türkheimer kehrten nie wieder nach Elzach zurück“, so Haumann. Ihre Kinder Elfriede und Günter hingegen seien mehrfach zu Besuch hier gewesen. Dass Bruno Türkheimers Enkel, Fred Turkheimer, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Linda nun die weite Reise aus Seattle nach Elzach auf sich genommen habe, sei ein besonderes Zeichen der Verbundenheit, freute sich Bürgermeister Tibi.
Fred Turkheimer dankte für die Stolperstein-Initiative, die von Jan Krummer, Mitarbeiter der Stadtverwaltung, ausgegangen war: „Unser Großvater wäre sehr berührt gewesen über diese Auszeichnung und die Erinnerung an das erlittene Unrecht.“ Er dankte auch für die begleitende Ausstellung im Heimatmuseum in Elzach.
Die Ausstellung wolle sich vor allem auch an jüngere Leute richten, sagte Philipp Häßler, Vorsitzender des Heimatgeschichtlichen Arbeitskreises. Die Verdrängung der Geschehnisse rund um die Nazi-Zeit habe lange angehalten: „Die Nazis – das waren immer die anderen“; das sei die gängige Haltung in der Bevölkerung gewesen. Erst nachdem Historiker die Geschichte auch im eigenen Mikrokosmos erforschen, wo „die Lebensgeschichten der einfachen Leute erzählt werden“, habe sich dies zumindest teilweise verändert.
An Bruno Türkheimer, seine Frau Paula und ihre Kinder Elfriede und Günter erinnern nun vor ihrem damaligen Wohnhaus in der Freiburgerstraße vier Stolpersteine. Für deren Verlegung war auch der in Köln lebende Günter Demni, der Initiator der europaweiten Stolperstein-Aktion, nach Elzach gekommen. 1992 hat der heute 76-jährige Künstler die Aktion ins Leben gerufen. Seine Idee: Im Boden verlegte kleine Gedenktafeln, möglichst an den Orten, wo die Menschen zuhause waren, sollen an die jüdischen Opfer des NS-Regimes erinnern. Über 100.000 solcher Gedenksteine wurden bisher verlegt, nicht nur in Deutschland, sondern in insgesamt 30 Ländern in ganz Europa.
Ausstellung und Vortrag
Die Ausstellung im Heimatmuseum ist noch bis Mitte Januar 2024 zu sehen und kann zu den üblichen Öffnungszeiten besucht werden. Gruppen und Schulklassen bekommen auf Wunsch Führungen nach Terminabsprachen. Morgen, 10. November, findet um 19 Uhr im Heimatmuseum in Elzach ein Vortrag des Historikers Professor Heiko Haumann mit dem Titel „Die Judenaktion 1938 – Geschichte, Aufarbeitung und die Folgerungen“ statt. Der Eintritt ist frei.