Stuttgart. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat am Montag in Stuttgart ihr neues Standortkonzept für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) in Baden-Württemberg vorgestellt. Danach wird die Versorgung künftig von deutlich weniger Bereitschaftspraxen gewährleistet. Insgesamt 18 Standorte sollen im Laufe der nächsten beiden Jahre geschlossen werden. Darunter: Müllheim. Das könne man so nicht hinnehmen, sind sich viele Müllheimer einig. Aus diesem Grund organisierte die Verwaltung am Montag einen Bus in die Landeshauptstadt, um sich dem Protest der betroffenen Gemeinden gegen diese Entscheidung anzuschließen.
Der Vorstandsvorsitzende der KVBW, Dr. Karsten Braun, erläuterte im Rahmen der Pressekonferenz am Montag die Gründe, warum die KVBW den Bereitschaftsdienst neu strukturiert. „Wir stehen vor gravierenden Herausforderungen in der ambulanten Versorgung“, erklärt er. Insgesamt seien aktuell 1.125 Arztsitze, davon alleine 963 Hausarztsitze in Baden-Württemberg nicht besetzt. „Uns steht eine Ruhestandswelle bevor, wenn die Babyboomer aus der Versorgung ausscheiden.“ Mehr als 3.750 Mitglieder in den Praxen seien über 65 Jahre alt und können jederzeit völlig verdient in den Ruhestand gehen – doch das bei Weitem nicht immer mit einer gesicherten Nachfolge. Der Praxisalltag würde zunehmend durch Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit und als Angestellte bestimmt. „All das belastet die verbliebenen Ärztinnen und Ärzte im Bereitschaftsdienst erheblich, da Angestellte keiner Dienstverpflichtung unterliegen“, so Braun. „Wir müssen die Regelversorgung stabilisieren. Wenn wir heute nicht tätig werden, werden unsere Probleme noch größer. Das betrifft dann vor allem den ländlichen Raum, wo die Dienstverpflichtung weiter steigen würde.“
Trotzdem wollen die betroffenen Kommunen die Entscheidung nicht einfach hinnehmen. Schon in der vergangenen Woche hatten sich die Bürgermeister der 18 Gemeinden zusammengeschlossen und einen gemeinsamen offenen Brief an den Gesundheitsminister Manfred Lucha verfasst. Er hat die Rechtsaufsicht über die KVBW inne. Im Brief fordern sie, die Entscheidung und die Kriterien, nach denen diese getroffen wurde, noch einmal zu überdenken. Einer der Kriterien, die die Bürgermeister in ihrem Brief kritisieren: Es solle künftig maximal ein bis zwei Praxen pro Landkreis geben. Dabei würde die Einwohnerdichte nicht berücksichtigt werden. Eine Praxis in einem weniger dicht besiedelten Landkreis könne dann eine rechnerisch bessere Versorgung bieten als zwei Praxen in einem einwohnerstarken Landkreis. „Es braucht eine flächige Ausbreitung der Notfallpraxen, sonst führt das zu unzumutbaren Fahrwegen, zu Überlastungen in den dann zuständigen Notfallpraxen mit extremen Belastungen für die dortige Ärzteschaft“, so die Stadtoberhäupter weiter. Auch könnte die Schließung zu einer Überlastung der Rettungskräfte kommen. Die angestrebte Erreichbarkeit von Praxen innerhalb von 30 Minuten sei zudem utopisch angesetzt, da hohe Verkehrsaufkommen und Behinderungen bei der Berechnung keine Rolle spielten. Auch Bürger ohne Auto seien so benachteiligt, zumal der ÖPNV vor allem in den ländlichen Gebieten deutlich längere Fahrtzeiten aufweist als im Individualverkehr.
„Wir erwarten, dass Sie sich jetzt rasch der Sache annehmen und nicht länger untätig zusehen, wie die KVBW den funktionierenden ärztlichen Bereitschaftsdienst in unseren Städten und Gemeinden an die Wand fährt und einem Großteil der Bevölkerung eine Verschlechterung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zumuten will, obwohl die jeweiligen Strukturen vor Ort dies derzeit gar nicht erfordern“, so die Forderung, die von allen Bürgermeistern der 18 Kommunen unterschrieben wurde.
Viele waren auch bei der Demo am Montag in Stuttgart anwesend, um in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Dringlichkeit des Themas hinzuweisen. „Alle Landtagsfraktionen – die Grünen etwas verhalten – haben zugesagt sich gegen die Schließungen einzusetzen“, berichtet Müllheims Bürgermeister Martin Löffler, der mit vor Ort war. Er ist zuverlässig, dass die Schließungen noch nicht in Stein gemeißelt sind: „Die Rechtsaufsicht im Gesundheitsministerium kann und muss aus meiner Sicht einschreiten. Es gibt auch Möglichkeiten rechtlich gegen die Schließung vorzugehen, die wir prüfen.“ Der Sozialausschuss des Landtages tagt heute öffentlich zu diesem Thema. Sofie Ritter