Emmendingen. Ende November fand in der Nähe von Potsdam ein Geheimtreffen zwischen Rechtsextremen statt. Bei der Zusammenkunft, der unter anderem auch AfD-Politiker beiwohnten, wurde ein Plan zur Deportation bestimmter Bevölkerungsgruppen aus Deutschland vorgestellt.
Als Reaktion darauf gehen seither Hunderttausende auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus, vor allem aber für Demokratie und eine offene Gesellschaft zu demonstrieren. Bei den Teilnehmern handelt es sich um jene oft zitierte „schweigende Mehrheit“. Eben diese zeigte sich am Sonntag auch in Emmendingen. 4.500 Menschen allen Alters und aus vielen Gesellschaftsbereichen besuchten die Kundgebung „Emmendingen steht auf!“. Auf dem Marktplatz hat es seit Jahren nicht mehr so eine große Zusammenkunft gegeben – weder auf politischer Ebene, noch bei einer kulturellen Veranstaltung.
Organisiert wurde sie von einem Bündnis aus neun Parteien. Deren Vertreter hatten die Demo eine Woche zuvor im Rathaus angemeldet. Angegeben wurden 500 Teilnehmer. Weil sich 27 weitere Gruppierungen und Organisationen anschlossen, war jedoch klar, dass es mehr werden würden. Am Sonntag um kurz vor drei platzte der Marktplatz schließlich aus allen Nähten. Und weil aus Richtung Bahnhofstraße, Lammstraße und kleinem Marktplatz immer mehr Publikum hinzuströmte, korrigierte Polizeichef Christoph Dümmig die Teilnehmerzahl relativ bald von 3.500 auf 4.500.
„Es geht um die Grundsache“
Um Punkt 15 Uhr eröffnete der Grünen-Kreisvorsitzende Rüdiger Tonojan, bei dem die Fäden zusammenliefen, die Demo. Von der Bühne aus, die vor dem Modehaus Blum-Jundt stand, blickte er nicht nur auf eine riesige Menge, sondern auch auf einen Wald aus Plakaten. Deren Aufschriften reichten von „Nie wieder“, „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ oder „Farbe bekennen“ bis hin zu „Lieber kunterbunt als kackbraun“, „Rechts bekämpft man mit links“ oder „EkelhAfD“. Zu Wortspielen gesellte sich auch Humor. Neben einer abgebildeten Bierflasche stand der Spruch „Die einzige braune Flasche, die ich akzeptiere!“.
„Ich war schon auf vielen Demos“, sagte Tonojan. Meistens seien Einzelthemen im Vordergrund gestanden. Bei den aktuellen Kundgebungen gehe es jedoch „um die Grundsache“. Man müsse die „Demokratie stärken, um überhaupt demonstrieren, um überhaupt seine Meinung zu äußern und um überhaupt frei diskutieren zu können“. Demokratie sei die „Grundlage, auf der alles basiert und ohne die nichts geht“. „Und wenn die AfD plant, Menschen mit Migrationshintergrund oder Andersdenkende zu deportieren, dann müssen wir aufstehen und erinnern, was wir uns geschworen haben: nie wieder Faschismus und nie wieder ist genau jetzt!“.
„Neuer demokratischer Aufbruch“„
4.500 Menschen sind ein starkes Zeichen gegen rechte Hetze und für die Demokratie“, stellte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner fest. Die AfD behaupte, dass sie die schweigende Mehrheit vertritt. Die Kundgebungen wie hier in Emmendingen bewiesen das Gegenteil. Fechner selbst verstehe dies als Botschaft an alle demokratischen Politiker, weniger zu streiten, die Themen der Bürger anzugehen und besser zu werden. Dennoch: keine Partei verrate deutsche Interessen so krass wie die AfD. Sie dürfe nirgendwo an die Macht kommen. Dabei verwies er auf die anstehenden Wahlen. „Unser Land bleibt bunt und darf nie wieder kackbraun werden“.
Vom Ukraine-Krieg über den 7. Oktober bis hin zum Geheimtreffen in Potsdam - Yannick Bury nannte mehrere „Ereignisse, die dazu geführt haben, dass die Menschen innehalten“. „Entscheidend ist aber, dass daraus ein Aufstehen wird“, so der CDU-Bundestagsabgeordnete. Dies müsse auch in der Politik passieren. Sie müsse daran arbeiten, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen, das in Teilen verlorengegangen ist, wieder hergestellt wird. Es dürfe jedoch auch in der Gesellschaft nicht beim Innenhalten bleiben. „Aus den Demos kann ein neuer demokratischer Aufbruch für das Land werden – mit Menschen, die sich einbringen – ob in Vereinen, Organisationen oder in politischen Parteien“, so Bury.
„Die Demos sollten uns ermutigen, Haltung im Alltag zu zeigen“, sagte der Grünen-Landtagsabgeordnete Alexander Schoch. Ob am Arbeitsplatz, im Verein, in der Schule oder im Alltag – es gelte, Hass und Hetze konsequent entgegenzutreten. „Wir dürfen nicht weichen, sondern müssen uns jeder Diskussion und jeder Auseinandersetzung stellen, um unsere so wertvolle Demokratie zu verteidigen“, so Schoch. Die Demo in Emmendingen sei ein „wichtiges Signal und klares Bekenntnis zu den freiheitlich-demokratischen Grundwerten, zu unserem Rechtsstaat und zu unserer Verfassung und ein Auftrag an die demokratischen Parteien, diese Verfassung so gut wie nur möglich zu schützen“.
„Sei a Mensch“
Für die Religionsgemeinschaften sprach die Evangelische Stadtpfarrerin Irene Leicht. Sie selbst outete sich als „säkulares Wesen mit demokratischen, feministischen, konservativen, liberalen und sozialistischen Überzeugungen – verrückt oder?“. Es sei auch für sie „nicht immer einfach, all diese inneren Widersprüche zu integrieren“. Dies sei unbequem und bringe Diskussion und Streit mit sich. Wichtig sei, es zumindest zu versuchen. Denn die Alternative dazu laute Abspaltung, Verdrängung und Projektion auf andere. Genau dies scheine ein Problem in der Gesellschaft zu sein. Menschen mit extremistischen Ansichten tappten ständig in dieser Falle. „Leider zeigt sich das auch auf Demos wie dieser – da wird zu Hass aufgerufen“, spielte sie auf einige Plakate an. Toleranz, merkte Leicht an, sei kein Spaziergang. Da gelte es auch „zu ertragen“. Dies müsse eingeübt werden. Die Losung laute daher: „Integrieren statt abspalten!“
„Wir müssen jetzt den Bürgern anschaulich erklären, wo sie von der AfD belogen und für dumm verkauft werden – wer das Volk liebt, der belügt es doch nicht?“, sagte der 1938 geborene, ehemalige SPD-Bundestagabgeordnete Dietrich Elchlepp. Carola Grasse, Vorsitzende des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur und seit Kurzem Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, erinnerte an die Rede von Marcel Reif, Sohn eines polnischen Überlebenden der Shoa, im Bundestag letzte Woche. „‘Nie wieder‘ kann nur sein, darf nur sein – ‚nie wieder‘ muss sein – gelebte, unverrückbare Wirklichkeit“, zitierte Grasse den Sportreporter. Wer gegen die Demokratie sei, setze sich über das Grundgesetz hinweg und handele damit auch gegen die Würde des Menschen. Drei Worte habe Reifs Vater seinem Sohn mitgegeben: „Sei a Mensch!“
Gegen Ende wurde die Bühne geöffnet. Nacheinander traten noch weitere Redner ans Mikrofon. Emotional verbunden wurden alle Ansprachen mit den Liedbeiträgen von Atze Gökdemir. Der bekannte Emmendinger Musiker, der türkische Wurzeln hat, sang von der Gitarre begleitet unter anderem den Westernhagen-Song „Freiheit“: „Der Mensch ist leider nicht naiv / Der Mensch ist leider primitiv“, heißt es darin vieldeutig. Gegen 16.45 Uhr ging die Demo zu Ende – durchgehend friedlich, mit vielen interessanten Begegnungen und Diskussionen sowie einem Gruß von der winterlichen Abendsonne. Daniel Gorzalka