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Über zwei Jahre Exil in Deutschland

Ukrainer erzählen ihre persönliche Geschichte - Freundeskreis Asyl lud ein

Denzlingen/Glottertal (hg). Der Denzlinger Freundeskreis Asyl lud mit Integrationsmanager Linus Schlempp vergangene Woche zu einem Informationsabend mit Geflüchteten aus der Ukraine in die evangelische Kirche in Glottertal ein. Mit fast 60 Besuchern war das Haus gut gefüllt, in dem mehrere Geflüchtete über ihre persönlichen Schicksale berichteten.

Namens des Freundeskreises Asyl begrüßte Therese Baumgartner die Besucher. Dem Freundeskreis sei es wichtig, neben individueller Hilfe für Geflüchtete auch über Fluchthintergründe und über die Situation der Menschen in den Krisenregionen zu informieren. Seit dem 24. Februar 2022 sind etwa 3,6 Millionen Ukrainer innerhalb ihres Heimatlandes geflüchtet, meist von Ost nach West. Über eine Million kamen nach Deutschland, davon etwa 200 nach Denzlingen, 38 nach Glottertal.
Wie es den Geflüchteten nach inzwischen über zwei Jahren Exil in Deutschland geht, war die Frage, die bei allen Schilderungen im Zentrum stand; ebenso die Frage nach möglichen Zukunftsperspektiven, nachdem bis heute kein Kriegsende absehbar sei. Viele Kriegsflüchtlinge kamen bereits in das Begegnungscafé des Freundeskreises und in die Beratung zu Linus Schlempp. Einige von ihnen waren bereit, über ihre Lebenssituation zu berichten.

Hoffnung auf baldige Heimkehr
Maria Nikoliutina verließ mit ihrer Familie Ende Februar 2022 mit kleinem Gepäck Mariupol und floh zunächst in die Karpaten. In der Hoffnung, nach zwei bis drei Wochen zurückkehren zu können, nahm sie noch zu erledigende Arbeit mit, nämlich Zertifikate für die Frauen ihrer Abteilung zum internationalen Frauentag am 8. März. Dies sind heute wertvolle Erinnerungen an ihre Zeit als stellvertretende Personalchefin im Seehafen Mariupol. In das zerstörte und besetzte Mariupol kann sie mit ihrer Familie nicht mehr zurück. Seit einigen Monaten arbeitet sie jedoch wieder in einer Personalabteilung, nämlich bei einer größeren Firma in Waldkirch.
Oksana Melnik konnte sich zunächst nicht entschließen, ihre alte Mutter zurückzulassen. Doch mahnte sie dringend zur Flucht, wobei die betagte Mutter auf die 13-jährige Enkelin verwies. Oksana ist eine Schneidermeisterin mit 30-jähriger Berufserfahrung. In Denzlingen ist sie inzwischen in der Nähstube des Freundeskreises tätig und derzeit mitverantwortlich für viele Kostüme des im Oktober zur Aufführung kommenden Musicals „Oliver“.
Aus dem zerstörten Saporishshja hat sich Kateryna Peliushenko alleine auf den Weg nach Westen gemacht. Seit Kriegsbeginn hatte sie ihr Zimmer voller Angst nicht mehr verlassen. Ihre Mutter riet ihr, nach Westeuropa zu fliehen, bis der Krieg vorbei sei. Kateryna ist inzwischen 22 Jahre alt und freut sich, in Deutschland hilfreiche Unterstützer gefunden zu haben. Sie lebt heute in Sexau und arbeitet in einem „super Team in einer Bäckerei“, wie sie wörtlich betont.

Sehr gut Deutsch gelernt
Valeriia Klimova sieht aktuell ebenfalls keine Möglichkeit, mit ihrer Mutter und der kleinen Schwester nach Mykolajiw zurückzukehren. „Das ist schrecklich“, sagt sie, „weil wir zwar hier sind, aber das Herz zurück in die Ukraine will“. Sie hat so schnell und gut Deutsch gelernt, dass sie heute Angestellte im Jobcenter ist und dort ihre ukrainischen Landsleute berät.
Seine persönliche Geschichte erzählte Aleksey Bobritsky, den Linus Schlempp in der Gesprächsrunde fragte, warum er als Mann eigentlich hier sei. Er sei Musiker mit eigenem Studio, Musikschülern und Engagements in Charkiw gewesen. Bei Kriegsausbruch war er gerade Teilnehmer eines Musikfestivals in der Schweiz. Seine Mutter zu Hause bat ihn, vorerst nicht zurückzukommen. Er bestand allerdings darauf, dass auch sie ausreisen müsse; ansonsten käme er selbst zurück in die Ukraine. Nachdem die Bombardements auf Charkiw zunahmen, ist schließlich auch sie nach Deutschland geflohen und lebt heute in Glottertal.
Diana Popova hat schon in Kiew Deutsch gelernt und konnte inzwischen eine Stelle als Dolmetscherin finden, nachdem sie noch einige Sprachkurse erfolgreich absolvierte. Als sehr schwer empfindet sie jedoch den Verlust ihres gesamten Lebens in der Ukraine. Ihre beiden Kinder seien für sie Motivation und täglicher Antrieb, sich hier neu zu beheimaten.

Erschütternde Kriegserfahrungen
Nach den erschütternden Schilderungen der Geflüchteten gab es eine angeregte Diskussion mit den Besuchern. Von besonderem Interesse war dabei die Antwort auf die Frage: „Was denken eigentlich ihre Landleute von euch, die in der Ukraine verblieben sind?“ Die Antworten waren gespalten, nämlich sowohl sehr negativ: Anfeindungen, Vorwürfe bis hin zu Kontaktabbrüchen; dagegen aber auch viele Zustimmungen, Verständnis und Aufforderungen, in Deutschland zu bleiben, wo es zumindest keinen Krieg gebe, sodass man in Sicherheit leben könne.
Herzlichen Beifall spendeten die Besucher schließlich allen Geflüchteten und zeigten zugleich großen Respekt vor deren sprachlichen Leistung. Vor allem aber beeindruckte ihre Offenheit und zuversichtliche Haltung mit Blick in die Zukunft. Bernhold Baumgartner wies abschließend hin auf die Gemälde von Bruder Lukas Ruegenberg aus der Abtei Maria Laach. Seine Bilder zeigen Orte und Menschen aus ukrainischen Dörfern. Bis zum kommenden Sonntag, 6. Oktober, sind sie in der evangelischen Kirche in Glottertal zu sehen.