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Joachim Schuster sagt „ade“

Nach 32 Jahren als Bürgermeister von Neuenburg am Rhein steht der Ruhestand bevor

Neuenburg. Nach 32 Jahren als Bürgermeister von Neuenburg am Rhein wird Joachim Schuster die kommunalpolitische Bühne zum bevorstehenden Monatswechsel verlassen. Geboren und aufgewachsen  im Filstal, in der schwäbischen Provinz, absolvierte  der Spross einer Lehrerfamilie in Stuttgart ein Studium für die gehobene öffentliche Verwaltung. Neben der Ausbildung  war Schuster von Kindesbeinen an leidenschaftlicher Fußballer. In der Studienzeit erwarb er diverse Trainerlizenzen und kann noch heute eine gültige UEFA-Trainerlizenz und den Fußballlehrerschein des DFB vorweisen. Zum Wechsel in den (Un-) Ruhestand bat RK-Redaktionsleiter Frank Rischmüller den künftigen Pensionär zum Interview.

Man kennt Sie als Bürgermeister und Trainer der Bürgermeister-Nationalmannschaft. Was haben Sie eigentlich getrieben, bevor Sie vor 32 Jahren erstmals zum Bürgermeister gewählt wurden?

Joachim Schuster: Nach dem Studium habe ich in der Landesvertretung von Baden-Württemberg in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn gearbeitet und mich dabei besonders um den Bereich Europapolitik gekümmert. Viele Kontakte wurden damals durch den Fußball erleichtert. Mit dem FC Südschiene, einem Team mit Mitarbeitern der Landesvertretungen aus dem süddeutschen Raum, haben wir gegen viele Botschaftsteams gekickt und sind so ins Gespräch miteinander gekommen.

Und wie kamen Sie dann nach Neuenburg?

Joachim Schuster: Sie werden lachen – auch über den Fußball. Der Minister Dr. Heinz Eylrich aus dem Wahlkreis Lörrach hatte mich gebeten, mit dem FC Südschiene zu einem Spiel gegen den Lörracher Kreistag nach Südbaden zu kommen. Der damalige Bürgermeister von Bad Bellingen, Eberhard Stotz, gab mir dann in der dritten Halbzeit, bei einem Glas Wein, den Tipp, dass in Neuenburg ein neuer Bürgermeister gesucht würde. 

Wie ging es dann weiter?

Joachim Schuster: Ich habe mich über die Stadt informiert, habe festgestellt, dass Neuenburg über finanzielle Rücklagen verfügte und fand die Grenzlage sehr reizvoll. Am Schreibtisch habe ich eine Agenda aufgestellt und bin gemeinsam mit vier anderen Kandidaten zur Wahl angetreten.

Sie sind 1991 als zugereister Schwabe zur Bürgermeisterwahl in Neuenburg angetreten und haben diese, trotz vier weiterer Kandidaten,  im ersten Wahlgang mit 65 Prozent der Stimmen gewonnen...

Joachim Schuster: Ja, es hat ganz offensichtlich von Anfang an gepasst. Sonst wäre ich vermutlich auch nicht drei Mal wiedergewählt worden – zwei Mal ohne Gegenkandidaten und vor acht Jahren dann, na ja, das ist Schnee von gestern. Da gab es persönliche Animositäten, das Wahlergebnis hat mich dann aber deutlich bestätigt.  

Zurück zum  Anfang der 90er Jahre. Sie waren plötzlich Bürgermeister. Was erinnern Sie noch aus den Anfangsjahren?

Joachim Schuster: Ich weiß zum Beispiel noch, dass ich 1992 einen ersten Brief geschrieben habe, um irgendwann einmal eine Landesgartenschau nach Neuenburg zu bekommen. Dass es 2022 tatsächlich geklappt hat,  zeigt, dass große Dinge in der Politik eine lange Vorlaufzeit und Kontinuität brauchen. Manchmal muss man dicke Bretter bohren.

War das für Sie ganz persönlich der größte Moment Ihrer Bürgermeisterzeit, oder fällt Ihnen da noch ein anderer ein?

Joachim Schuster: Sie müssen bedenken, dass es 1991 an der Grenze zu Frankreich noch Schlagbäume gab. Die Schaffung des einheitlichen europäischen Binnenmarktes war für mich der größte Moment. Neuenburg, bis dahin am Rand von Deutschland und Baden-Württemberg gelegen, war plötzlich mitten in Europa. Das war eine Zeitenwende, durch die auch die deutsch-französische Freundschaft wachsen konnte. So haben wir damals die erste deutsch-französische Volkshochschule ins Leben gerufen.

Die Schaffung des deutsch-französischen Binnenmarktes war großartig, aber nur in den Auswirkungen ein lokales Thema für Neuenburg. Welche waren für Sie als Kommunalpolitiker die besonderen Highlights der vergangenen 32 Jahre?

Joachim Schuster:  Im Jahr 2010 tagte, im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg,  die Landesregierung in Neuenburg. Da gab es eine geheime Kommandosache, denn erst auf der abschließenden gemeinsamen Pressekonferenz wurde mir und der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass Neuenburg die Landesgartenschau 2022 ausrichten  darf – als kleinste Stadt, die den Zuschlag jemals erhalten hat. Das war ein großartiger und stolzer Moment. Ein zweiter bedeutender Erfolg war die Entscheidung des Landkreises,  kein zweites Gymnasium in Müllheim einzurichten, sondern ein Kreisgymnasium in Neuenburg. Auch darum hatten wir lange gekämpft und haben seither alle weiterführenden Schulen bei uns im Ort.

Hatten Sie für Ihre Arbeit als Bürgermeister eine Maxime?

Joachim Schuster: Ich habe immer einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt – also von der Wiege bis zur Bahre, wenn Sie so wollen. Von der Kleinstkinderbetreuung bis hin zum Friedhofsmanagement musste alles für die Menschen positiv geregelt werden. Dass es mir gelungen ist, das abzuarbeiten, darauf bin ich jetzt, am Ende meiner Karriere, stolz. Natürlich musste der Gemeinderat immer mitziehen. Ich hatte sieben Gemeinderatsgenerationen und alle haben mein Konzept mitgetragen.

Wie kriegt man so etwas hin?

Joachim Schuster: Ich habe die Gemeinderäte immer wie eine Fußballmannschaft betrachtet. Es gibt immer Defensive, es gibt Kreative, Mitläufer und Vollstrecker. Man muss allen Beteiligten mit Respekt begegnen und ein Miteinander austarieren. Schon vor meiner ersten Wiederwahl sind wir dazu übergegangen, im Anschluss an die offiziellen Sitzungen, nicht etwa in einem Lokal, wo vielleicht die Ohren Unbeteiligter besonders groß werden könnten, sondern im Rathaus den Abend bei einem Imbiss und Umtrunk ausklingen zu lassen. Das hat sich bewährt, auch und gerade bei der Konfliktbewältigung. 

Ihre Amtszeit geht nach 32 Jahren zu Ende. Wie gut können Sie loslassen?

Joachim Schuster: Ich habe in der Politik viele kommen und gehen sehen und sie dabei beobachtet. Und ich habe mich vorbereitet. Am 22. Mai war meine letzte Gemeinderatssitzung, in der ich laufende Themen abschließen konnte. Und jetzt ist es aber auch gut. Am 31. Mai ist mein letzter Arbeitstag, dann gibt es noch eine „Tschüs-Party“ mit Livemusik auf dem Rathausplatz, ein paar Abschiedsworte von mir, aber keine weiteren Reden.

Und wie geht es dann für den Privatmann Joachim Schuster weiter?

Joachim Schuster: Ich kann endlich mal drei Wochen Urlaub am Stück machen – erst zum zweiten Mal in 32 Jahren. Aber eigentlich ist es ja kein Urlaub, sondern ich bin nur drei Wochen nicht da, sondern auf Sylt – wir sind seit 40 Jahren Sylt-Fans. Danach wird es dann merklich ruhiger, worauf ich gut vorbereitet bin. Es wird weniger Freunde geben, weniger Einladungen, praktisch keine Termine. Ich hatte 32 Jahre lang 1.000 Termine im Jahr – das ist dann vorbei.  Unternehmen bieten jetzt Beraterverträge an, bei der EM der Bürgermeister-Nationalmannschaften 2024 in Leipzig könnte ich die Turnierleitung übernehmen – ich glaube aber, ich werde eher viel lesen. Ich liebe Bücher von ausländischen Autoren, die ihre Sicht auf Deutschland schildern. Außerdem will ich auf Reisen unser Heimatland entdecken, zum Beispiel die Mecklenburgische Seenplatte. Die wollte ich immer schon  kennenlernen. Und, wie besprochen, werde ich  für den ReblandKurier alle sechs Wochen eine Kolumne schreiben, einen Kommentar zum Weltgeschehen. (fr)